Verbraucher*innen schützen, Umweltschutz sichern, Landwirtschaft vielfältig gestalten – Neue Gentechnik auch zukünftig regulieren!

Anfang Juli 2023 legte die EU-Kommission einen Vorschlag zur Änderung der Regulierung von Neuer Gentechnik in der Landwirtschaft vor. Sie verspricht sich durch die Neuregulierung für den Einsatz Neuer Gentechnik (NGT) mehr Nachhaltigkeit auf den Feldern in Europa, weniger Einsatz von Pestiziden, mehr Klima- und Artenschutz. Der Vorschlag sieht vor, dass Pflanzen mit bis zu 20 Eingriffen ins Erbgut durch Neue Gentechnik zukünftig nicht mehr als gentechnisch veränderte Produkte definiert werden sollen. Für diese Pflanzen würden in der EU dann Zulassungsverfahren, Risikobewertung und Kennzeichnung entfallen, sie kämen damit ungeprüft und ohne Kennzeichnung auf den Markt. Die Möglichkeit nationalstaatlicher Verbote für Sorten aus neuer Gentechnik-Züchtung wäre ebenfalls nicht mehr möglich. Derzeit wird der Kommissionsvorschlag auf europäischer Ebene beraten. Das Europäische Parlament hat am 7. Februar zwar grundsätzlich einer Deregulierung für Neue Gentechnik zugestimmt, sich aber gleichzeitig für eine Kennzeichnungspflicht sowie die Rückverfolgbarkeit ausgesprochen. Eine Positionierung des EU-Agrarministerrates steht derweil noch aus. Sobald sich alle drei am EU-Gesetzgebungsverfahren beteiligten Organe positioniert haben, treten sie in den Trilog ein. Der in diesem Verfahren ausgehandelte Kompromiss muss im Anschluss noch vom EU-Agrarministerrat und dem Europäischen Parlament beraten und verabschiedet werden. Bisher ist der rechtliche Rahmen für die Nutzung von Agro-Gentechnik auf EU-Ebene in den EU-Verordnungen über gentechnisch veränderte Lebensmittel und Futtermittel sowie über die Rückverfolgbarkeit und Kennzeichnung von genetisch veränderten Organismen (GVO) und in der EU-Freisetzungsrichtlinie geregelt. Hierin sind unter anderem das Vorsorgeprinzip, die Umweltverträglichkeitsprüfung oder die Überwachung von Langzeiteffekten verankert. Im Jahr 2018 stellte der Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) klar, dass auch Verfahren der Neuen Gentechnik wie CRISPR/CAS als Gentechnik gelten und einer Regulierung nach dem Vorsorgeprinzip im Rahmen der Freisetzungsrichtlinie inklusive Risikoprüfung und Kennzeichnungspflicht unterliegen.

Vorsorgeprinzip und Wahlfreiheit weiterhin garantieren

Die bisher durch die Regulierung von Gentechnik gewährleistete Wahlfreiheit und das Vorsorgeprinzip sind ein erheblicher wirtschaftlicher Vorteil für die europäische Land- und Lebensmittelwirtschaft. Die von der EU-Kommission vorgeschlagene Deregulierung Neuer Gentechnik gefährdet den Ökolandbau sowie den „Ohne Gentechnik“-Sektor in der EU existenziell. Aus Sorge um ihre Existenz haben Anfang Februar 2024 Landwirt*innen eine Petition an Vertreter*innen des Europäischen Parlaments überreicht. Über 92.000 Menschen fordern darin eine strenge Kennzeichnung und Regulierung von GVO. Auch regelmäßige Erhebungen in Deutschland zeigen, dass Verbraucher*innen keine gentechnisch veränderten Lebensmittel wollen. Laut Naturbewusstseinsstudie des Bundesamts für Naturschutz von 2021 sprechen sich 70 Prozent der deutschen Bürger*innen für ein striktes Verbot von Gentechnik in der Landwirtschaft aus und 89 Prozent für eine Umweltrisikoprüfung ohne Ausnahmen. 92 Prozent der befragten Verbraucher*innen sprechen sich für eine klare Kennzeichnung von gentechnisch veränderten Lebensmitteln aus. Ein aktuelles, von der Grünen Bundestagsfraktion beauftragtes Rechtsgutachten kommt zu dem Schluss, dass der Deregulierungsansatz des Kommissionsvorschlags weder mit dem in EU-Verträgen verankerten Vorsorgeprinzip noch mit dem Cartagena-Protokoll kompatibel ist. Mit diesem internationalen Abkommen über die biologische Sicherheit werden der grenzüberschreitende Transport, der Umgang und die Handhabung von genetisch veränderten Organismen verbindlich geregelt. Zur selben Schlussfolgerung kommt auch ein aktuelles Rechtsgutachten des Bundesamts für Naturschutz. Demnach gewährleistet der Kommissionsvorschlag nicht die notwendige Risikovorsorge für die einmal freigesetzt, nicht mehr rückholbaren gentechnischen Eingriffe ins Erbgut von Pflanzen.

Neue Gentechnik bleibt Gentechnik

Mit der Neuen Gentechnik sind tiefe Eingriffe in das Erbgut von Organismen möglich, wodurch dieses grundlegend verändert werden kann. Hierdurch können nicht beabsichtigte Veränderungen an Pflanzen einhergehen, deren Risiken für Mensch, Tier und Umwelt wissenschaftlich nicht abschließend erforscht sind. Denn die grundsätzlichen Risiken der Gentechnik, wie die Auskreuzung, Kontamination und Nicht-Rückholbarkeit im so genannten offenen System, bestehen bei der Neuen Gentechnik ebenso. Denn auf dem Acker, der ein solches offenes System darstellt, kann die Verbreitung nicht verhindert werden. Veränderte Organismen, die einmal in unserer Natur freigesetzt wurden, können nicht mehr zurückgeholt werden. Eine fehlende Risikobewertung, wie sie der Vorschlag der EU-Kommission vorsieht, könnte daher bedeuten, dass Risiken, die von NGT-Pflanzen ausgehen können, unkontrolliert in der Umwelt wirken könnten. Systemische Lösungen jetzt umsetzen Der Weltklimarat (IPPC) und der Weltbiodiversitätsrat (IPBES) sind sich einig, dass die Intensivierung der Landwirtschaft, unter anderem durch einen hohen Einsatz an Betriebsmitteln wie Pestiziden oder Düngemitteln, ein Treiber der globalen Klima- und Biodiversitätskrise ist. In ihrem Deregulierungsvorschlag für die Neue Gentechnik sieht die EU-Kommission ein geeignetes Mittel, um im Agrarsektor die Klimaziele zu erreichen und dem Artensterben entgegenzuwirken. Andauernde Nässe oder Trockenheit durch die Klimakrise stellen die Landwirt*innen vor enorme Herausforderungen. Diese sind durch gentechnische Eingriffe in Pflanzen nicht zu bewältigen. Extremwetterlagen kann nur mit komplexer, individueller, regional- und standortangepasster Landwirtschaft und Pflanzenzucht begegnet werden. Der Pflanzenbau in der freien Natur umfasst lokalspezifische Faktoren der Klima- und Bodenbeschaffenheiten sowie ökologische Wechselwirkungen, die nicht im geschlossenen System, im Labor berücksichtigt werden können. So hilft die durch gentechnische Veränderung angestrebte trockenheitsresistente Pflanze in extrem nassen Jahren nicht. Um der Komplexität gegenwärtiger pflanzenbaulicher Herausforderungen gerecht zu werden, helfen nur robuste Pflanzen aus standortangepasster Zucht, die in widerstandsfähigen Anbausystemen eingesetzt werden.

Neue Gentechnik auch zukünftig regulieren

Als GRÜNE Landtagsfraktion NRW stehen wir an der Seite von Verbraucher*innen und Landwirt*innen und stellen uns gegen eine Aufweichung bestehender Regulierungen für die Neue Gentechnik auf EU-Ebene. Aus unserer Sicht müssen auch zukünftig folgende Punkte gewährleistet sein: Eine umfassende Risikoprüfung, die Kennzeichnungspflicht und die Wahlfreiheit der Verbraucher*innen müssen durch die Neuregulierung auf EU-Ebene weiterhin gewahrt sein, um ökologische und konventionelle, gentechnikfreie Landwirtschaft zu schützen. Die bisherige, strenge Gentechnikregulierung ist ein großer wirtschaftlicher Vorteil für europäische Züchter*innen, Landwirt*innen, Verarbeitung und Händler*innen. „Ohne Gentechnik“ und Ökolandbau sind wichtige Wirtschaftsbereiche. Diese müssen geschützt und durch eine nationale Opt-Out-Regelung ermöglicht werden. Das derzeit geltende EU-Gentechnikrecht mit der Freisetzungsrichtlinie wird dem Vorsorgeprinzip gerecht. Die im Gesetz verankerte Kennzeichnungspflicht bildet die Grundlage der Wahlfreiheit zwischen gentechnisch veränderten Erzeugnissen und Gentechnikfreiheit. Diese Kennzeichnungspflicht muss uneingeschränkt auch für die Neue Gentechnik gelten. Auch für die Anwendung von Neuer Gentechnik in offenen Systemen der Landwirtschaft und der Natur, muss das Prinzip der Umkehrbarkeit gelten, sonst kann diese im Sinne zukünftiger Generationen nicht verantwortet werden. Strenge Reglements zur Anwendung der Neuen Gentechnik im offenen System (Landwirtschaft) stellen keine Einschränkung von Wissenschaft, Forschung und Nutzung im medizinischen oder industriellen Bereich dar. Wir setzen uns dafür ein, dass Landwirtschaft und Ernährung in unserer Gesellschaft nachhaltiger werden, ökologische und gentechnikfreie Pflanzenzucht einen höheren Stellenwert erhält und diese Ziele stärker in der Forschungsförderung des MLV NRW verankert werden. Die Etablierung anpassungs- und widerstandsfähigerer Anbausysteme sowie eine Erweiterung des Anbauspektrums bieten erheblich zukunftsfähigere Lösungsansätze. Vor dem Hintergrund der enormen globalen Herausforderungen wollen wir systemische Ansätze priorisieren.