Die zweite Sitzung des im September neu gewählten Rates war gleichzeitig eine zweite konstituierende Sitzung. Während in der ersten Sitzung im November zunächst alle Fachausschüsse des Rates besetzt wurden, standen nun die sogenannten Aufsichts- und Vertretungsgremien an. Zu Beginn der Wahlperiode werden nämlich die leitenden Gremien aller Unternehmen und Körperschaften besetzt, an denen die Stadt Anteile hält oder in denen sie Mitglied ist. Wichtig für uns: Wir nehmen die Quoten ernst. Mehr als die Hälfte unserer Ausschuss- und Gremiensitze nehmen Frauen ein. Eine Liste mit unseren Vertreter*innen findet ihr hier.
In über 50 Wahlvorgängen werden meist Mitglieder des Rates in die Aufsichtsräte zum Beispiel der Stadtwerke oder der BOGESTRA gewählt, um diese Gesellschaften im Sinne der Stadt Bochum zu kontrollieren. Für diese Wahlen reichen die Fraktionen jeweils Listenwahlvorschläge ein. Der Aufwand, um einen der jeweiligen Fraktionsstärke angemessenen Interessenausgleich unter den demokratischen Fraktionen herzustellen, war wirklich enorm. Denn die Mitglieder des Rates müssen nicht zwingend für die eigene Liste stimmen. Ganz legal ist es bei der Besetzung dieser Gremien, Leihstimmen an fremde Wahlvorschläge zu vergeben und sich so gegenseitig zu unterstützen oder andere auszubooten. Es können entweder alle Fraktionen für sich kämpfen oder eben kooperieren. Ungezählte Gespräche und Sitzungen auf Geschäftsführungsebene sowie zwischen den Fraktionsspitzen über Wochen hinweg mündeten schließlich in einen Erfolg: SPD, GRÜNE, CDU, LINKE, UWG/Freie Bürger und FDP hatten sich auf einen gemeinsamen Antrag geeinigt, der die jeweiligen Vorschlagslisten beinhaltete und einen fairen Ausgleich der Interessen ermöglichte.
Dabei geht es keineswegs um „Postengeschacher“, wie es beispielsweise der Chefredakteur der Bochumer WAZ in einem seiner wie üblich etwas reißerischen Aufmacher darstellte. Mag sein, dass mancher Aufsichtsratsposten für manches Ratsmitglied eher wegen des gefühlten Prestiges und der Vergütung interessant ist. Aber jenseits individueller Motive geht es schlicht um die Frage, wie sich der über demokratische Wahlen ermittelte Wille der Bürger*innen in der Kontrolle städtischer Beteiligungsunternehmen widerspiegelt. Und es ging in den Verhandlungen der demokratischen Fraktionen nicht zuletzt darum, die Antidemokraten so weit wie möglich außen vor zu halten.
Sehr schwierig gestaltete sich die Kommunikation im Vorfeld übrigens mit den Stadtgestaltern und der Satire-Partei DIE PARTEI. Wie zu hören war, gingen insbesondere die Stadtgestalter mit derart überzogenen Forderungen in die Verhandlungen mit der CDU, dass die Gespräche schnell scheiterten. Die PARTEI fiel als ernstzunehmende Gesprächspartnerin durch ihren Fokus auf eher semi-witzige „Satire“-Aktionen vorläufig aus. Zur Erinnerung: Stadtgestalter und PARTEI hatten sich infolge recht magerer Wahlergebnisse als kleinste Gruppierungen mit jeweils 2 Mandaten im 86köpfigen Stadtrat wiedergefunden. In der Novembersitzung hatten diese beide Ratsgruppen noch erfolglos versucht, sich durch wechselseitiges Leihen von Stimmen zu Ausschusssitzen zu verhelfen, die Ihnen wegen ihrer geringen Größe eigentlich gar nicht zustehen. Anfang Dezember gaben sie dann den Zusammenschluss als Fraktion bekannt. Dadurch konnten Sie erzwingen, dass die Besetzung der Ausschüsse wiederholt werden musste. Dieser Anspruch ist kommunalrechtlich im Spiegelbildlichkeits-Gebot begründet: Fraktionen sollen in den Ausschüssen ebenso stark repräsentiert sein, wie im Rat selbst.
Zurück zur Ratssitzung vom 17.12.: Der Rat tagte diesmal in der Jahrhunderthalle, nachdem der bisherige Ausweichort Ruhrcongress zum Impfzentrum umfunktioniert wurde. Der Ratssaal im Historischen Rathaus ist für Corona-Verhältnisse ohnehin zu klein.
Der erste Paukenschlag kam, als mit TOP 1.12 die Wahl zum Verwaltungsrat der Sparkasse aufgerufen wurde. Die AfD widersprach der offenen Abstimmung für alle folgenden Abstimmungsvorgänge bis TOP 1.30. Das bedeutete geheime Abstimmung. Ein unerhörter Schritt, schließlich war es allen dran gelegen, die Zeit des gemeinsamen Aufenthalts in der Halle möglichst kurz zu halten. Da zeigte sich deutlich, was die AfD von Infektionsschutz hält. 83 Ratsmitglieder – 3 waren entschuldigt – mussten bei jedem TOP einmal durch die ganze Jahrhunderthalle laufen, um den Stimmzettel in die Urne zu werfen. Zu einer gewissen Einsicht kamen die Rechtsaußen nur nach massivem Zureden durch den OB und es wurden schließlich nur die Wahlen geheim durchgeführt, zu denen die AfD selbst Kandidat*innen nominiert hatte. Gleichwohl dürfte das Pochen auf geheime Abstimmung für zusätzliche 4 – 5 Stunden Sitzungszeit gesorgt haben.
Der zweite Paukenschlag erschütterte die Ratsversammlung, als das Ergebnis der Wahl zum Sparkassen-Verwaltungsrat bekanntgegeben wurde. Der Wahlvorschlag der AfD hatte sieben Stimmen bekommen, obwohl die AfD selbst nur 5 Stimmen hat. Damit ging ein Sitz unvorhergesehen an die AfD. Wie sich im weiteren Verlauf herausstellte, kamen die beiden zusätzlichen Stimmen aus der CDU-Fraktion. In der eilig angesetzten Beratungspause gab es dort einige hochrote Gesichter zu sehen – teils vor Zorn, teils vor Scham. Den eigentlich der CDU zustehenden Sitz verlor übrigens der nominierte Kenan Yildiz. Es wollten also zwei Mitglieder der CDU-Ratsfraktion lieber ein AfD-Mitglied im Sparkassen-Verwaltungsrat sehen als einen der ihren. Es traf ausgerechnet den, der im Wahlkampf üble rassistische Schmierereien auf seinen Wahlplakaten erdulden musste. Die rassistisch getränkte Niedertracht, die nötig ist, um da noch eins drauf zu setzen und einen Fraktionskollegen zu Gunsten der AfD fallen zu lassen, machte viele sehr betroffen. Im Lauf des Abends votierte dann auch bei einer ganzen Reihe von Abstimmungen mindestens ein CDU-Abweichler für AfD-Vorschläge – zum Glück ohne weitere Auswirkungen auf die zu erwartende Sitzverteilung. Die CDU Bochum hat nun neben den immer noch schwelenden Führungskonflikten ein weiteres ernstes Problem.
Die erneute Besetzung der Ausschüsse ergab übrigens das gleiche Ergebnis wie im November. Die ganz offensichtlich nur zum Zweck des Mandatsgewinns gegründete Fraktion PARTEI / STADTGESTALTER ging leer aus, nachdem sowohl in unserer Fraktion als auch in der CDU-Fraktion mehrere Mitglieder von ihrem Recht auf freie Mandatsausübung Gebrauch machten und UWG/Freie-Bürger bzw. FDP unterstützten, die durch das durchsichtige PARTEI/Stadtgestalter-Manöver ansonsten Ausschusssitze eingebüßt hätten.
Neben diesen vielen notwendigen Formalitäten hat der Rat natürlich auch wichtige Sachbeschlüsse gefasst:
- Das Engagement der Bochumer Beschäftigungsförderungsgesellschaft gGmbH zur Eingliederung von Langzeitarbeitslosen wird ausgeweitet.
- Der Marketingfonds Bochum City ist ein Partnerschaftsprojekt mit Akteuren aus der Innenstadt. Er soll die Attraktivität der Innenstadt durch kreative Marketingmaßnahmen steigern. Die Stadt beteiligt sich mit bis zu 375.000 Euro.
- Mit einer Veränderungssperre im Bereich der Innenstadt soll die vielfältige Struktur insbesondere des Bermudadreiecks gesichert werden.
- Der Haushaltsabschluss 2019 ist der zweite positive Abschluss in Folge. Auch die Zahlen für 2020 sehen Corona bereinigt zwar gut aus. Klar ist aber auch: Die NRW-Kommunen brauchen jetzt eine verlässliche Finanzierung, um aus eigener Kraft krisenfest handeln zu können– für Klimaschutz, die Mobilitätswende, die Sanierung und Stärkung einer leistungsfähigen kommunalen Infrastruktur und für die Bekämpfung der Pandemie. Mehr
- Ab dem kommenden Jahr werden die Ratssitzungen per Rats-TV gestreamt. Wir sind gespannt, wie viel Resonanz dieses Angebot erzeugen wird.