Stellungnahme der Ratsfraktion zur Petition „Das Freibad Langendreer darf nicht ‚baden‘ gehen!“

By 23. Februar 2022Allgemein, Sport & Freizeit

Die Grünen im Rat bleiben bei ihrer Position, wie sie im Ratsbeschluss zur Zukunft der Bochumer Bäder vom 11. November 2021 Ausdruck findet, und schließen sich der Petition zum Erhalt des Freibads Langendreer nicht an.

Dem Beschluss ging in der Grünen Ratsfraktion eine fundierte fachliche Auseinandersetzung mit den vorliegenden Gutachten und Daten voraus. Die wesentlichen Dokumente sind hier verlinkt:

https://gruene-bochum.de/2021/11/04/koalition-einigt-sich-auf-millioneninvestition-in-bochums-baederlandschaft/

Bochum hat verhältnismäßig viele Außenwasserflächen (Freibäder), die oft nur schwach besucht sind, aber gleichzeitig gibt es zu wenig Innenwasserflächen (Hallenbäder und Lehrschwimmbecken.) Darauf hat der Rat mit dem Beschluss des Bäderkonzeptes im November 2021 reagiert. Die jährlichen Ausgaben für die Bäderunterhaltung werden deutlich erhöht und ein millionenschweres Programm zur Sanierung und Instandsetzung der Bäder wird aufgelegt.

Das beschlossene Bäderkonzept soll sicherstellen, dass im gesamten Bochumer Stadtgebiet, also auch in Wattenscheid und im Bochumer Süden, die Entwicklung der Bäderlandschaft so gestaltet wird, dass ein ganzjähriges Schwimmangebot im Umkreis von ca. 5 km erreichbar ist. Für die Grünen ist dabei selbstverständlich, dass die Erreichbarkeit der Bäder bei der Entwicklung des ÖPNV-Angebotes und des Radwegenetzes eine zentrale Rolle spielen. Dabei sollen auch die Bäder anderer Anbieter, auch jenseits der Stadtgrenzen, einbezogen werden.

Es sollen bis 2030 nach heutiger Rechnung über 50 Millionen Euro investiert werden, um familienfreundliche Bäder zu schaffen, die modernsten Energiestandards entsprechen. Dabei werden auch die Bedarfe der Vereine und Schulen berücksichtigt, die nicht zuletzt einen wesentlichen Beitrag bei der Schwimmausbildung leisten.

Die solitären Hallenbäder in Langendreer, Höntrop und Querenburg werden ganzjährig geöffnet sein. Auch im Sommer wird das Schwimmen und das Schwimmenlernen in Langendreer möglich sein. Gleichzeitig hat der Bochumer Osten mit dem Freibad Werne ein hochmodernes Freibad. Für das neue wasserorientierte Freizeitangebot (sog. Urban Blue) am Standort Langendreer muss unter möglichst frühzeitiger Beteiligung der Menschen im Stadtteil etwa im Rahmen eines Ideenwettbewerbes ein stimmiges Gesamtkonzept entwickelt werden. Bestandteile sollen sein:

  • Das Hallenbad, das mittels Cabriodach bzw. flexibler Seitenwand nach außen hin geöffnet werden kann, so dass draußen liegen und drinnen baden möglich wird. Wegen des Geländeversatzes wird ein attraktiver Übergang zu schaffen sein.
  • Ein Außenwasserbereich für kleine Kinder
  • Ein neues Kurschwimmbecken im Hallenbad mit Hubboden, das auch Bewegungs- und Kursangebote für ältere Menschen ermöglicht.
  • Spiel- und Sportangebote (z.B. Wasserspielplatz, Beachvolleyball, Kletterwand, Boulebahn)

Auch für den Außenbereich des neuen Wattenscheider Hallenbades braucht es im Übrigen eine attraktive Konzeption. Je nachdem, wo es nach Abschluss der noch laufenden juristischen Prüfung errichtet wird, könnte am Standort Höntrop eine eher wellnessorientierte und in der Südfeldmark eine eher stadtteilorientierte Ausgestaltung Sinn ergeben. Auch hier müssen die Wattenscheider frühzeitig einbezogen werden.

 

Vertiefende Argumente

Wir verstehen, dass der Ratsbeschluss für viele Menschen in Langendreer eine große Enttäuschung bedeutet. Die Entscheidung, u.a. das Freibad in Langendreer zu schließen, war Teil einer gesamtstädtischen Entscheidung, bei der eine Reihe von Problemen gelöst werden mussten:

  • Die Bochumer Bäder sind größtenteils stark sanierungsbedürftig.
  • Die Bäderinfrastruktur soll auch in 20 Jahren bezahlbar sein.
  • Das Freizeitverhalten verändert sich.
  • Die Badstandorte sollen möglichst gleichmäßig über das gesamte Stadtgebiet verteilt sein.

Es ist wichtig, die Situation bei den Freibädern und den Hallenbädern zunächst getrennt zu betrachten. Zunächst zu den Freibädern: Wir haben im Vergleich mit den meisten Großstädten in der Region – auch wenn der Eindruck ein anderer sein mag – verhältnismäßig viel Wasserfläche in Freibädern. Gleichzeitig ist die Zahl der Besucher seit 20 Jahren deutlich rückläufig. Das ist ein Trend, der in ganz Deutschland zu beobachten ist.

Seit etwa zwanzig Jahren lässt sich in Bochum ein Abwärtstrend bei den Besucherzahlen beobachten und das weitgehend unabhängig von personalbedingten vorübergehenden Schließungen in einzelnen Jahren. Die Durchschnittszahl der Besucher hat sich über zwanzig Jahre hinweg und über alle Bäder betrachtet nahezu halbiert. Das lässt sich nur sehr begrenzt mit eingeschränkten Öffnungszeiten erklären. Die Bäder wurden in den Zeiten der Haushaltssicherung hauptsächlich in den Randzeiten (morgens bzw. zu Beginn und Ende der Saison) geschlossen, wenn ohnehin sehr wenige Menschen im Bad sind. Und ja, es gab auch immer wieder komplette Schließtage infolge von Personalmangel. Der Besucherrückgang hat aber eine ganz andere Größenordnung.

Dazu passt der durch Daten gestützte Befund: Richtig voll sind die Bäder, auch wenn sie offen sind, nur an wenigen wirklich heißen Tagen. Und auch nur dann, wenn es mehrere Tage hintereinander heiß ist. Das sagen uns nicht nur die Angestellten der Bäder sondern auch die Statistiken. Natürlich erfüllen Bäder eine wichtige soziale Funktion erfüllen. Aber das tun sie eben für immer weniger Menschen! Das liegt nach unserer Auffassung zu einem guten Teil an der gestiegenen Konkurrenz mit anderen lokalen/regionalen Freizeitmöglichkeiten.

Hier einige Daten zu den Freibädern: Der langjährige Durchschnitt ist in den letzten 30 Jahren von rund 350.000 Gesamtbesucher*innen zu Beginn der Neunzigerjahre auf 250.000 zur Mitte der Nullerjahre und auf 150.000 zur Mitte der Zehnerjahre gesunken.

Bemerkenswert ist, dass im sehr langen und heißen Jahrhundertsommer 2003 fast doppelt so viele Besucher*innen (545.262) in den Freibädern waren wie im Jahrhundertsommer 2018 (224.384), den wir alle noch in Erinnerung haben mit von über 40 Grad und einer schier endlosen Trockenheit. Zwischen 2015 und 2019 waren die Bäder selbst an den besucherstärksten Tagen nicht voll ausgelastet. Das Freibad Langendreer erzielte selbst an den besucherstärksten Tagen der jeweiligen Saison nur Auslastungen zwischen 40 und 70 Prozent. In diesem Zeitraum gab es insgesamt nur 4 Tage an denen die Auslastung hier über 70 Prozent stieg.

Auf diese Veränderungen musste die Politik nun reagieren, wenn sie eine auf lange Sicht bezahlbare Bäderinfrastruktur erhalten will. Die historisch einmalige Vielzahl von Bädern wurde im Wesentlichen in den 60er und 70er-Jahren errichtet. Überall in Deutschland ist im Grunde zu wenig Geld da, um diese Struktur mit hohen Investitionen bereitzustellen und mit laufenden Mitteln aufrechtzuerhalten. In Bochum mussten wir daher eine Abwägung treffen.

Mittlerweile ist durch Gutachten gut belegt, dass wir überdurchschnittlich viel Wasserfläche in Freibädern haben, aber dass wir bei den Hallenbädern und bei den Lehrschwimmbecken nachbessern müssen. Denn hier gibt es eher zu wenig Wasserfläche bzw. die Fläche wird nicht effizient ausgenutzt.

Deshalb haben wir entschieden: Die Hallenbäder und die Lehrschwimmbecken werden nach und nach saniert. Wir werden außerdem im weiteren Verfahren darauf achten, dass keine Schule länger als 10 Minuten Anfahrt zu einem Bad/Lehrschwimmbecken hat. Und es wird ein einheitliches Belegungsmanagement geben müssen, um die Wasserflächen in den Hallenbädern besser auszunutzen. In den nächsten 10 Jahren werden wir (nach heutigen Kostenschätzungen) über 60 Mio. Euro ausgeben, um die Bochumer Bäder, die erhalten bleiben, in einen neuen Lebenszyklus zu bringen. Aber wir müssen das vorhandene Angebot auch für nachfolgende Generationen bezahlbar halten. Bezahlbar bedeutet dabei: Aufwand und Nutzen sollten in einem vertretbaren Verhältnis stehen. Man wird auch in 15 – 20 Jahren fragen, ob der städtische Zuschuss (derzeit ca. 9 Mio €, 2030 nach derzeitiger Planung ca. 13 Mio €) in der jeweiligen Höhe gerechtfertigt ist und mancher Euro nicht an anderer Stelle (Sportstätten, Jugendfreizeithäuser) usw. sinnvoller ausgegeben werden sollte. Vor allem dann, wenn sich der Besucherrückgang fortsetzt.

Gleichzeitig sollte man nicht geringschätzen, dass das geplante „Urban Blue“ ein attraktiver Erholungsort werden kann, der eine soziale Funktion erfüllt. Es ist kein Ersatz für das Freibad, aber wie wir beim „Urban Green“ am Hausacker jetzt schon sehen, bringt es die Vereine und die Leute zusammen.

Nun zu dem vielleicht wichtigsten Punkt in der ganzen Bäderdebatte: Wir beschäftigen uns jetzt seit fast drei Jahren in dem Projekt „Schwimm mit“ mit der Frage, wie wir es schaffen, dass wieder mehr Kinder (und Erwachsene) Schwimmen lernen. Politik, Vereine, Verbände und Verwaltung haben mittlerweile ein Handlungskonzept erarbeitet, wie man die Kinder und Familien erreicht, für die Schwimmen lernen eher nicht zum Standard gehört, oder denen schlicht die Mittel fehlen. Teile des Konzepts werden bereits umgesetzt. Die Gleichung „Weniger Bäder = Weniger Schwimmer“, die häufig angeführt wird, ist so einfach nicht richtig. Das Angebot an Wasserflächen, die zum Schwimmunterricht taugen, ist sicher ein wichtiger Faktor. Aber die Freibäder spielen dabei eher eine Nebenrolle. Für den Schwimmunterricht sind die Hallenbäder und Lehrschwimmbecken wesentlich wichtiger. Und wie oben schon gesagt, ist das der Kern des Bäderbeschlusses, dass wir künftig deutlich mehr Geld (Investitionen und laufende Mittel) für Bäder ausgeben als bisher. Wir konzentrieren uns dabei aber auf die Hallenbäder. Und wir konzentrieren uns darauf, den Schwimmunterricht noch näher an die Nichtschwimmer zu bekommen.

Vermutlich wird unsere Stellungnahme den Ärger und die Enttäuschung in Langendreer nicht mindern. Dennoch möchten wir den Eindruck korrigieren, dass hier eine reine Sparentscheidung getroffen worden sei ohne Rücksicht auf soziale Verluste. Im Gegenteil: Wir geben mehr Geld für Bäder aus als zu irgendeinem Zeitpunkt in den letzten 40 Jahren. Aus den genannten Gründen halten wir es aus gesamtstädtischer Perspektive aber für nötig, die Strukturen zu verändern.

 

Link zur Rede unseres Fraktionsvorsitzenden Sebastian Pewny in der Ratssitzung am 11. November 2021 zum Bäderkonzept: https://www.youtube.com/watch?v=mbPif1WcmcI&t=1s