Liebe Bochumer*innen,
seit einer gefühlten Ewigkeit fesselt uns die Coronapandemie. Sie verlangt uns unfassbar viel ab. Dieses Virus fordert täglich Menschenleben. Bochum hat fast zweihundert Mitbürger*innen durch dieses Virus verloren. In den Krankenhäusern und Intensivstationen kämpfen Omas und Opas, Väter und Mütter um ihr Leben.
Das Coronavirus ist der Feind unserer Freiheit. Dieses Virus prüft die Resilienz unserer Gesellschaft. Es versucht zu spalten, es versucht zu töten, es versucht uns krank zu machen und macht unsere Gesellschaft krank.
Dieser Tage erlebt unsere Stadt den bisherigen Höhepunkt dieser pandemischen Lage. Und das in einer Zeit, von der die meisten von uns glaubten wir hätten es fast geschafft. Nach trostlosem Weihnachtsfest im vergangenen Jahr, nach nicht getätigten Urlaubsreisen, nach vielen Stunden heimischen Homeschoolings, nach unzähligen nicht gefeierten Partys, Diskobesuchen und zahllosen Konzertabsagen drohen uns weitere Entbehrungen.
Als Kommunalpolitiker steht man in einer besonderen Verantwortung. Letzte Woche tagte wieder einmal der Ältestenrat in einer Sondersitzung. In diesen Sitzungen lassen sich die Fraktionsvorsitzenden der Stadtratsfraktionen über die aktuelle Corona-Lage ins Bild setzen. Es sind solche Sitzungen die auch einen erfahrenen Kommunalpolitiker fassungslos zurücklassen. Die dramatische Lage ist Ihnen allen bekannt. Man kann Sie täglich in den statistischen Zahlen lesen und in der Presseberichterstattung verfolgen. Gleichwohl bekommen die Berichte der Krisenstabsleitung eine politische Nahbarkeit, die einen aufwühlt.
Auch sieben Tage nach dieser Sitzung beobachtet man die politischen Entscheidungen in Bund und Land mit Unverständnis. Auch die der eigenen Partei. Dort wird abgewartet, gezögert, nicht gehandelt, mit dem Finger auf andere gezeigt. Natürlich ist die Lage nicht einfach und es gibt keine Patentrezepte. Aber wir haben die Lösung für sinkende Ansteckungsraten bereits erfolgreich durchgeführt.
Vor unserer Türschwelle steht nicht etwa der Nikolaus oder das Christkind. Vor unseren Türschwellen steht eine neue Variante des Coronavirus mit multiplen Mutationen. Sie ist offensichtlich ansteckender als die bisherigen. Und vermutlich, wie auch die bisherigen Virusvarianten, für Menschen durchschnittlichen Alters eine milde Infektion. Aber niemand von uns mag sich vorstellen, was passiert, wenn eine dieser Mutationen ein Altenheim, ein Krankenhaus, eine Pflegeeinrichtung erreicht und dort mit seiner hohen Ansteckungsgefahr ausbricht.
In Bochum haben sich ungefähr siebzig Prozent der Bevölkerung impfen lassen. Das ist gut, aber das reichte nicht um die vierte Welle aufzuhalten und es wird auch nicht reichen eine fünfte oder sechste Welle zu verhindern. Wir brauchen jetzt die Solidarität aller Bochumer*innen. Jede*r Einzelne muss den Beitrag leisten, um den Kampf gegen Corona zu führen.
Jede*r von uns macht im Umgang mit der Coronapandemie Fehler. Auch Politiker*innen. Sei es beim Besuch der Ostkurve, sei es bei einer Karnevalsgala oder eben dem Glühwein auf dem Weihnachtsmarkt. Verzicht fällt uns allen schwer. Und als soziale Wesen sehnen auch wir Politiker*innen uns nach einem normalen Leben jenseits von Corona. Auch wir wollen wieder auf Fotos lächeln, mit den Liebsten an den Strand oder auf die Skipiste. Auch wir wollen Hochzeiten feiern, auf Partys tanzen und Weihnachten mit der ganzen Familie zusammenkommen. Auch wir mögen die Masken nicht und wollen wieder Hände schütteln, das persönliche Gespräch führen und uns umarmen.
Ich weiß, dass die Pandemie uns allen sehr viel abverlangt. Ich habe mit Eltern gesprochen, die eine Quarantäne ans Limit der Belastungsfähigkeit geführt hat. Ich habe mit Kindern gesprochen die Oma und Opa besuchen wollten und ich habe mit Großeltern gesprochen die sich einsam fühlen. Während der Arbeit zu Beginn der Pandemie auf einer Coronastation habe ich Menschen getroffen die den Tot der Isolation vorzogen. Die den Kampf aufgeben wollten, weil Sie nicht mehr wussten, wofür Sie kämpfen sollen. Ich schaue bei der täglichen Lektüre der Nachrichten in das Gesicht meiner Freundin und sehe die Entmutigung, die Enttäuschung nach der unerfüllten Hoffnung.
So schwer es auch fällt. So schmerzhaft die Erkenntnis auch ist. So sehr wir uns alle wünschten, dass es nicht noch einmal dazu kommen möge. Wir müssen jetzt die Kontakte reduzieren. Und wer dieser Tage auf den Stehplatz ins Stadion geht, den Weihnachtsmarkt besucht, Konzerte hört und Schauspiel sieht, der merkt, dass es mit Zureden und Bitte nicht getan ist. Der weiß, dass die besten Hygienekonzepte nicht helfen, dieses Virus zu bekämpfen. Das fängt auch bei einem selbst an. Wir wissen was richtigerweise zu tun wäre. Aber es ist jedes Mal ein innerer Kampf gegen sich selbst und seine eigenen Bedürfnisse.
Was wir jetzt tun müssen: Wir brauchen eine neue Impfkampagne die dafür sorgt diejenigen zu erreichen, die wir bisher nicht erreicht haben. Ja, das darf auch eine Impfpflicht beinhalten. Nicht alle die bisher eine Impfung ablehnen sind Querdenker. Nicht alle haben schlechte Argumente. Nicht alle sind hierbei ideologisch verblendet oder von Verschwörungstheorien durchsetzt. Es gibt Bochumer*innen, die haben Angst in der Abwägung über mögliche Folgen der Impfung in ferner Zukunft oder haben Angst um die Folgen seltener Nebenwirkungen. Aber ich bin sicher, dass die Abwägung zwischen einer Zukunft ohne Corona und den eigenen Ängsten eine Menge Menschen zum Ergebnis bringt: Impfen ist der Weg raus aus der Pandemie und hinein in eine hoffnungsvollere Zukunft. Eine staatliche Impfplicht in Verbindung mit einer Aufklärungskampagne kann dabei helfen, diese Abwägung zu treffen und Vertrauen in das System der Coronaimpfung schaffen. Nicht bei Allen, aber bei sicherlich einem Teil der bisher Ungeimpften. Und bis dahin? Bis der Impfstoff bei diesen Menschen auch wirkt, brauchen wir eine sofortige Kontaktreduzierung durch einen Lockdown, sowie vorgezogene Schließung der Schulen bzw. längere Weihnachtsferien. Wie stark ausgeprägt und wie hart, dass müssen die klugen Köpfe aus der Wissenschaft der Politik vorgeben. Und das kann auch bedeuten, die Weihnachtsmärkte eher zu schließen, als wir uns das alle wünschen.
Die Stadt Bochum hält ein freiwilliges gigantisches Angebot an Impfstraßen und Impfangeboten bereit. In der Pflicht sind aber auch alle niedergelassenen Ärztinnen und Ärzte dazu beizutragen die Breite der Bevölkerung zu impfen. Das gilt für Kinder- und Hausärzt*innen ebenso, wie für die Fachärzt*innen. Außerdem sind Land und Bund gefragt den Apotheker*innen und Hebammen das Impfen zu ermöglichen.
Wir alle wollen Weihnachten unter einem schönen Tannenbaum im Kreise unserer Liebsten verbringen. Wir wollen kitschige Weihnachtslieder singen, Kekse backen und Silvester in guter Laune feiern. Wir wollen die Trauerhallen meiden.
Dazu müssen wir jetzt solidarisch und gemeinsam handeln. Wir müssen uns allen etwas zumuten. Ob es das letzte Mal sein wird in dieser Pandemie? Das weiß auch ich nicht, aber nichts tun – das ist keine Option. Und lieber einmal noch zu viele Maßnahmen, als hinterher festzustellen, dass es zu wenige waren. Und wo immer ich als Kommunalpolitiker einen Teil dazu beitragen kann, werde ich versuchen das zu tun. Und ich bin sicher: Das gilt ebenso für die große Mehrheit der Kolleg*innen, egal welcher politischen Farbe.
Den VfL Bochum im Fernsehen siegen zu sehen, ist nur die zweitbeste aller Möglichkeiten den Jungs von der Castroper beim Siegen zuzuschauen. Aber immerhin: Sie siegen. Und das wünsche ich mir auch für unseren Kampf gegen Corona. Diesen Sieg von meinem Wohnzimmer aus feiern zu können. Und dann? Dann feiern wir unser großes Stadtfest nach und Fiege erlebt den Absatz seiner Geschichte.
Bleiben Sie gesund und verlieren Sie nicht die Hoffnung,
Sebastian Pewny
Fraktionsvorsitzender